Oasen des Lebens – Therapiezentren in der Wüste
Hoffnung säen, Resilienz ernten
Teil 3 aus dem Zyklus: Facetten der Wiederherstellung (Heilung für Traumatisierte)
von Brigitte Chaya Nussbächer

Der 2020 gegründete Rimon Hof. Foto privat
Als Nir 2016 einen furchtbaren Terroranschlag miterlebte, beschloss er sein Leben einem tieferen Sinn zu widmen. Er gründete Therapiehöfe mitten in der endlosen Weite der Negev Wüste, die traumatisierten und gefährdeten Menschen eine Zuflucht bieten – einen Raum, in dem Wunden heilen dürfen, Herzen wieder lernen zu vertrauen und Seelen neue Kraft schöpfen. Tausende haben bereits neuen Lebensmut gefunden. Tausende warten noch auf ihre Chance. Hilf mit, Hoffnung Wirklichkeit werden zu lassen.
Terror in Tel Aviv
Begonnen hat es mit einer Tragödie. Am 1. Januar 2016 verübte ein Palästinenser einen Terroranschlag in der HaSimpta Bar in Tel Aviv, bei dem zwei Israelis getötet und 4 weitere verwundet wurden.
Nir, war auch dort, er blieb äußerlich unverletzt. Doch als eines der Opfer an dem furchtbaren Tag in seinen Armen starb; war dies eine Erfahrung, die einen Wendepunkt einläutete. Er fällte die Entscheidung, der Stimme seines Herzens zu folgen und sein weiteres Leben einer sozialen Tätigkeit im Negev widmen.
Hoffnung säen
Als erstes gründete er 2020 den Rimon Hof für gefährdete Jugendliche fernab von den dicht besiedelten Ballungsräumen im Zentrum und im Osten des Landes - im Süden Israels, im Negev. Dafür, dass es eine Wüste war, ist es unglaublich grün hier.
Israel hat den Traum vom Staatsgründer David Ben Gurion, den Negev zum Blühen zu bringen, erfolgreich mit Tröpfchenbewässerung umgesetzt. Links der Straße grünen die Weinberge, rechts wogen die Ähren. Ein weiter Himmel wölbt sich über das Land und der Lärm, der Stress und die Hektik der Städte ist fern. Hier kann man anders atmen und die Ruhe legt sich wohltuend auf das Gemüt.
2023 wurde dann als zweites die Lahav-Farm gegründet, für Menschen die unter einer posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) leiden – ursprünglich geplant für rund 80 Personen: Zelte, Beete, Weingärten und weite grüne Hügel. Das Land dafür haben sie vom Kibbuz Lahav erhalten. Tatsächlich wurden seit dem Massaker der Hamas vom 7. Oktober 2023 mehr als 4000 Menschen dort behandelt! Und der Bedarf ist weiterhin enorm groß. So entstand 2024 der zweite Hof für posttraumatische Therapien: der Shekef Hof.

Der Lahav Hof. Foto privat
Nirs großes Vorbild ist niemand Geringerer als David Ben Gurion, der schon vor 70 Jahren vielversprechende Pläne für diesen Landstrich hatte, dem er sehr viel Potential zuschrieb. Und tatsächlich spürt man den Pioniergeist der Gründungszeit auf den Höfen: den Willen, hier etwas Bedeutsames zu schaffen, den Zusammenhalt, die Vision. Wie in jenen Tagen ist der Alltag hier einfach, man lebt in Zelten.
Die landwirtschaftliche Arbeit fordert harten Einsatz, doch als Belohnung entsteht hier neues Leben und genau das hat einen heilenden Einfluss auf die Betroffenen. Zu sehen, wie die kleinen Pflänzchen wachsen, wie Lämmer und Kälber geboren und groß werden, all das ist ein Zeugnis der Kraft der Erneuerung und vermittelt die Hoffnung, dass auch in verwundeten Seelen Neues entstehen kann. Die Arbeit mit Pflanzen und Tieren in der Natur schafft eine heilende Verbindung zwischen Körper und Geist und hilft Selbstwirksamkeit zu erleben, das Selbstvertrauen zu stärken, Erfolgserlebnisse zu schaffen und ein Gefühl von Kontrolle und Hoffnung zurückzugewinnen.

Neues Leben auf der Lahav Farm. Foto privat
Hier werden Therapie, Bildung und Rehabilitation auf einzigartige Weise miteinander verbunden: In einer inspirierenden Umgebung erfahren die Teilnehmenden emotionale Heilung, begleitet von einer unterstützenden Gemeinschaft. Soziale Kompetenzen werden gestärkt und mit maßgeschneiderten Plänen, die auch Familie und Gemeinschaft einbeziehen, werden sie individuell gefördert.
Auf diese Art werden gleich drei wesentliche Ziele erreicht: die Heilung und Stärkung der Menschen, die Erschließung und Bepflanzung des Landes, sowie die Förderung der Wüstenregion Negev.

Gruppentherapie auf der Lahav Farm. Foto privat
Begegnung im Wüstenwind

Unser Kontakt zu den Rimon Therapie Höfen entstand über „Israel Today“. Hier erfuhren wir von dieser beeindruckenden Arbeit. Jetzt endlich haben wir diese Oasen der Hoffnung persönlich kennen gelernt. Die Landschaft, die Stimmung, der Umgang miteinander fasziniert uns von der ersten Minute. Nir, der Gründer, Tal, die Resources Development Koordinatorin und Hemia, eine Psychiaterin kommen mit uns in der „Freilichtküche“ des Lahav-Hofes zusammen. Um uns herum grüne Weite, Stille, ein leichter Wind streichelt die Wangen.
Und mit uns an dem Tisch sitzen Menschen mit markanten Gesichtern, warmen Augen und voller Intensität.
Die Kommunikation ist offen, direkt und herzlich. Small Talk ist nicht erforderlich – wir haben das gemeinsame Ziel, Menschen, die durch das Massaker vom 7. Oktober in der einen oder anderen Weise verletzt wurden, zu helfen.
Wir und sie berichten von unseren Initiativen seither und spüren: wir sind schon lange Verbündete – auch ohne uns zu kennen.
Besonders beeindruckend für uns ist es, das persönliche Zeugnis von Gil, einem Kommandeur zu hören, der davon spricht, was für einen Unterschied ein paar Tage hier auf der Farm für seine Männer bewirken. Hier können sie posttraumatischem Stress vorbeugen, sich in einem geschützten Rahmen austauschen, hier finden sie Verständnis und können neue Kraft tanken, um dann in ihren Alltag zurückzukehren.
S. (Name geändert)

S. Foto privat
Zunächst spricht er nicht davon, was er am 7. Oktober erlebte. Er erzählt, wie wichtig es für ihn ist, zu der Lahav Farm zu kommen. Es ist der einzige Ort, für den er seine Wohnung verlässt. Ansonsten vermeidet er es. Aber hierher kommt er gerne 2-3 mal pro Woche. Denn er hat Vertrauen zu seinen Betreuern gefasst, die ganzen Monate haben ihm bewiesen, dass ihre Empathie und ihr Wunsch, ihm beizustehen, echt sind. Am Anfang war er skeptisch, aber zu seinem Erstaunen hat er erlebt, dass immer jemand für ihn da ist und dass ihn die Menschen hier aufbauen. Dass keine Forderungen an ihn gestellt werden, dass er sein eigenes Tempo bestimmen kann und nichts verbergen muss. Er merkt, dass die Gespräche, die landwirtschaftliche Arbeit und das Zusammensein mit anderen, die ähnliches erlebt haben, ihm guttun. Er ist in einer kleinen Gruppe von Menschen, die alle an einer posttraumatischen Belastungsstörung leiden. Hier braucht er keinem zu erklären, was es heißt, eine schlimme Nacht zu haben. Hier hält ihn keiner für seltsam. Und das gibt ihm Geborgenheit und die Möglichkeit sich zu öffnen. Die Ruhe und die Weite hier sind ebenfalls heilsam. Und so ist die Lahav Farm für ihn zu einem Zufluchtsort geworden, eine Motivation, den nächsten Tag in Angriff zu nehmen und aus dem Bett aufzustehen. Sein Zeugnis macht den Wert der Arbeit, die hier geleistet wird, sehr deutlich.
Nir Oz
Und dann stellt sich heraus, dass er aus dem Kibbuz Nir Oz stammt. Dieser Name legt sich wie Eis auf unser Herz. Ohne es zu wollen oder zu planen haben wir seit dem 7. Oktober immer und immer wieder ehemalige Bewohner aus Nir Oz getroffen. Die ersten waren Smadar und Shlomo. Smadars Bruder Avner lebte mit seiner Frau Maya und 4 Kindern dort. Sowohl Avner als auch Maya wurden ermordet. Maya Leiche wurde nach Gaza verschleppt.
Ich schrieb „Bring Maya Home Now“ und der Artikel ging um die Welt. Dann kam unser Projekt für die israelischen Waisenkinder. Und wieder kamen wir mit Familien aus Nir Oz in Kontakt: Sigal, Hadas und ihre Kinder.
Als wir erwähnen, dass wir Kontakt zu Familien von dort haben, möchte er sofort wissen, wen und es stellt sich heraus – er kennt sie alle. Maya und Avner waren seine Nachbarn, Tamir, Hadas Mann, dessen Leiche immer noch in Gaza festgehalten wird, war sein Freund, ein ganz besonderer Mensch, den jeder mochte, voller Frohsinn. (Die Geschichte von Hadas und Tamir). Und Dolev, Sigals Mann „traf“ S. noch am 7. Oktober während des Massakers, als beide versuchten die Terroristen abzuwehren. Dolev half ihm in einer sehr schwierigen Situation, die er nicht näher beschreibt.

Maya & Avner, Foto privat.
Danach verbarrikadierte sich S. mit seiner Familie im Bunker. Er blieb bei ihnen, weil seine Frau ihn inständig bat, nicht mehr hinauszugehen, als er sich wieder aufmachen wollte. Heute ist er sich nicht sicher, ob er richtig gehandelt hat. Er hat das quälende Gefühl, an jenem schwarzen Schabbat seine Freunde Tamir und Dolev im Stich gelassen zu haben. Was ist richtig in so einer Situation, wer kann das beurteilen, wer kann das sagen? Niemand war auf diese Situation vorbereitet. Niemand hat jemals damit gerechnet von Hunderten von Terroristen überfallen zu werden. Niemand hätte es für möglich gehalten, dass die Armee erst ankam, als das Blutbad, die Brandstiftung, die Entführungen durch die Terroristen schon vollzogen waren und diese zum nächsten Ort, auf der Suche nach neuen Opfern, aufgebrochen waren.
Ein besonderer Mut
S. und seine engste Familie haben überlebt, aber heil sind sie nicht geblieben. S.s Schwiegervater und viele seiner Freunde wurden brutal ermordet, Nir Oz besteht fast nur noch aus einem Haufen von verbrannten Ruinen. Alles, was sie erträumt hatten, alles, was sie sich aufgebaut hatten, liegt in Trümmern. Wie lebt man danach weiter? Wie kann man wieder Mut fassen oder Hoffnung haben? Das versucht S. auf dem Lahav Hof zu lernen.
Man sieht es ihm an, wie schwer es für ihn ist, über diese Themen zu sprechen. Er behält seine Selbstbeherrschung, aber trotz seines Lächelns zuckt sein Gesicht und man spürt die ungeweinten Tränen. Der Schmerz und die Qual, die immer wieder in seinen Augen aufblitzt, sprechen Bände.
Das Gespräch ist viel intensiver und tiefer geworden, als es einer von uns gedacht hätte. Die Tatsache, dass wir uns schon seit Monaten für Bewohner seines Ortes engagieren, hat uns anscheinend in seinen Augen Authentizität verliehen und ihm Vertrauen eingeflößt.
Wir sind erschüttert, beeindruckt und können ihm seine Offenheit gar nicht hoch genug anrechnen. Und als wir uns nach ein paar Stunden verabschieden, tun wir es nicht mehr als Fremde – sondern als Freunde mit einer herzlichen Umarmung.
Erst später wird uns klar, wie schwer es für ihn gewesen sein muss, sich überhaupt an einen Tisch mit uns zu setzen und mit uns zu sprechen. Wieviel Überwindung und Tapferkeit dafür von seiner Seite nötig war, aus dem Schatten der Geborgenheit Unbekannten gegenüberzutreten. Doch seine Bereitschaft dazu und seine Ehrlichkeit haben es uns ermöglicht, die Tragödie von Nir Oz noch besser zu verstehen, aber vor allem auch ganz konkret die Arbeit vom Lahav Hof bzw. die Erfolge dieser Therapien mitzuerleben. Denn S. hat hier in den letzten Monaten große Fortschritte gemacht, die Ausblick auf seine Heilung geben und auf eine Zukunft mit Hoffnung und Licht – auch wenn er nie vergessen wird. Und es gibt noch Tausende wie ihn, die hier wieder leben lernen.

Das Ziel der Therapie-Zentren: neues Leben. Foto Shutterstock
Die Geschichte von den Therapiezentren ist Teil des Zyklus: Facetten der Wiederherstellung.
Brigitte Chaya Nussbächer und ihr Mann Harald Bottesch sind regelmäßig in Israel. Aktuell ist ihr Schwerpunkt Familien zu unterstützen, die von dem Massaker der Hamas am 7. Oktober 2023 direkt betroffen waren: Witwen und Waisen, Traumatisierte und Evakuierte. Bei ihrem letzten Israel-Einsatz im April 2025 haben sie erneut Betroffene besucht und Verbindungen mit spezialisierten Organisationen vor Ort geknüpft um spezifisch, langfristig und nachhaltig zu helfen.
Wenn Sie über neue Artikel oder Veranstaltungen von ARC to Israel informiert werden möchten, geben Sie uns bitte eine kurze Rückmeldung via Kontaktformular. Wir würden uns freuen mit Ihnen verbunden zu bleiben.
Erstveröffentlichung: 13. Juni, 2025
Copyright © Brigitte Chaya Nussbächer; Abdruck nur nach vorheriger Genehmigung
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Der Lahav Hof. Foto privat

Ein neuer Weinberg wird gepflanzt. Foto privat
Nir meint: „Wir können es uns nicht erlauben, aufzuhören zu träumen“, denn die Auslebung dieses Traumes ist die Grundlage der Wiederherstellung von so vielen.
Sie nehmen jeden in die Programme auf, der anfragt: Sicherheits-, Notfall- und Rettungskräfte, medizinisches Personal, Polizei, Soldaten, Terroropfer.
Menschen, die extremen Belastungen ausgesetzt waren, die im Einsatz über ihre Grenzen hinausgehen mussten, die durch intensive Kampferfahrungen, den Verlust von Kameraden oder durch Verletzungen traumatisiert sind; die Schwierigkeiten haben, in ein normales Leben zurückzufinden und eine Brücke zurück in den Alltag suchen.
Unser Besuch im April 2024 auf der Lahav Farm. Foto privat
Dann setzt sich ein Mann zu uns. Er lächelt freundlich, doch gleichzeitig ist das Lächeln herzzerreißend. In seinen Augen ist Wärme, aber auch ein Schrei. Wir erfahren bald, wieso. Er ist einer, der auf dieser Farm daran arbeitet, langsam heil zu werden. Früher lebte er in einem Kibbuz neben dem Gazastreifen. Früher, das gehört für ihn zu einer anderen Zeitrechnung.
Das war vor dem 7. Oktober. Er war ursprünglich ein Bauingenieur. Weil ihn das nicht erfüllte, wurde er zum Farmer und zog mit seiner Frau in den Kibbuz, weil es keinen besseren Ort gibt, um eine Familie zu gründen. Sie waren glücklich und haben das Leben in der engen Gemeinschaft genossen. Seine Frau arbeitete als Lehrerin und ihre Kinder, die inzwischen 7 und 10 Jahre alt sind, wuchsen dort auf. Heute sind sie evakuiert und leben in Kiryat Gat

Tamir, Hadas Mann, Foto privat
Die Aufgabe, die sie sich Nir und seine Mitarbeitenden gestellt haben, ist gigantisch - doch das potenzielle Ergebnis beflügelt alle, die sich hier engagieren! Sie säen, oft mit Tränen, im Vertrauen darauf, Resilienz und eine starke Zukunft zu ernten.
Denn das Ziel dieser Höfe ist eine Neuauflage der uralten, sich wiederholenden Geschichte Israels: aus Asche und Trümmern neu aufzustehen und am Ende über noch mehr innere Kraft und Lebensmut zu verfügen. Jeder kann durch seine Spenden an die Rimon Farm einen wertvollen Beitrag dazu leisten.

Nir Amitai, Gründer der Therapie Zentren. Foto privat

Wir stellen unsere Arbeit vor. Foto privat

Das verwüstete Kibbuz Nir Oz betrauert viele Tote. Foto privat

Dolev, Sigals Mann, Foto privat
Wie wir das Wunder Israel erlebt haben
von Brigitte B. Nussbächer
Wir haben in Israel mit eigenen Augen wahrgenommen, wie Gott zu seinem Volk steht. Wir haben anhand von Fakten und Tatsachen gesehen, wie die Aussagen der Bibel Realität werden und wir haben überall im heutigen Israel Gottes in Erfüllung gehende Verheißungen erlebt.
Vorausgegangen war eine eher mühsame Entscheidungsfindung. Israel einmal zu besuchen gehörte zur „Allgemeinbildung“ von Christen. Trotzdem hatte es mich nicht hingezogen und die Berichte derer, die von Reisen aus Israel zurück kehrten, hatten wenig dazu beigetragen, es zu ändern. Wenn sie von den sogenannten „Heiligen“ Stätten berichteten, fragte ich mich immer, was es mir denn bringen würde, diese Ruinen oder Gedenkkirchen anzusehen. Viel mehr interessierte mich, was Gott heute in der Gegenwart erlebbar machte.
Letztlich war es dann tatsächlich auch ein anderer Gedanke, der den Anstoß zu dem Besuch gab. 2018 feierten mehrere nach dem 2. Weltkrieg gegründete Staaten ihr 70. Jubiläum – darunter auch Israel. Nachdem wir Dokumentarfilme über Indien und Pakistan zu dem Thema gesehen hatten, fragte ich mich, wie wohl Israel diese 70 Jahre genutzt hatte. Im Vergleich zu den anderen Staaten musste es ungleich schwerer gewesen sein, aus dem Nichts etwas aufzubauen. Noch 1867 hatte Marc Twain das Land als desolat, eine stille, traurige Weite ohne Mensch, Baum und Strauch bezeichnet. Was war daraus geworden?
Und so begaben wir uns auf eine geschichtliche Studienreise, was sich im Nachhinein als Volltreffer erwies. Nie hätten wir in einem Individualurlaub so viel erfahren und kennen gelernt.
Noch während wir vom Flughafen Ben Gurion nach Tel Aviv fahren, hören wir die Entstehungsgechichte dieser Stadt, von der Parzellverlosung an ein paar Dutzend Familien nördlich der jahrtausende alten Hafenstadt Jaffa im April 1909. Diese wollten auf den Sanddünen, die der niederländische Bankier Jacobus Kann gekauft hatte, die erste jüdische Stadt der Moderne bauen. Und dann fahren wir auch schon an den ersten Hochhäusern vorbei und nach Tel Aviv hinein, welches heute (rund 100 Jahre später) die modernste und weltoffenste Metropole des gesamten Nahen Ostens ist.
Im sehr originell und lebendig gestalteten Palmach Museum in Tel Aviv erfahren wir von dem beeindruckenden Kampf des jüdischen Volkes für seine Unabhängigkeit. Und von der Vorgeschichte: als die UN 1947 beschloss, das ehemalige britische Mandat in 2 Länder aufzuteilen: ein jüdisches und einen arabisches. Von dem Protest der Araber und von dem Druck, der auf die Juden ausgeübt wurde, diese Chance nicht zu nutzen. Von der Proklamation des jüdischen Staates durch David Ben Gurion am 14. Mai 1948 und von dem Angriff der 5 arabischen Länder Ägypten, Syrien, Jordanien, Irak & Libanon um Mitternacht am gleichen Tag.
Man muss sich die damalige Situation vergegenwärtigen. Ca. 650.000 Juden, viele von ihnen Holocaustüberlebende, die gerade erst das Grauen hinter sich gelassen hatten, versuchten Israel, welches als neugegründeter Staat keine Armee besaß, mit Gewehren, Maschinenpistolen und Granatwerfern gegen eine Mehrheit von 160 Millionen Arabern (ausgerüstet mit Panzern, Artillerie, Schützenpanzerwagen, Flugzeugen und Kriegsschiffen) zu verteidigen. Ein Verhältnis von 1 : 246! Dabei wird einem die menschliche Ausweglosigkeit bewusst und dass das Überleben Israels ein Wunder ist. Mit Tränen in den Augen verlasse ich das Museum. Jetzt verstehen wir, welch hohen Preis das jüdische Volk (nach der Auslöschung der 6 Millionen durch den Holocaust) im Unabhängigkeitskrieg für seine Existenz bezahlt hat.
Umso mehr staunen wir über die Lebensfreude und Energie, die heute auf den Strassen Tel Avivs spürbar ist und die wir bei den Menschen, denen wir begegnen, erleben. Wir sehen die Fähigkeit dieses Volkes schnell aus dem Nichts etwas aufzubauen (sie haben weltweit die 2 höchste Anzahl von Start Ups), ihre Genialität Lösungen für scheinbar Unlösbares zu finden, wie zum Beispiel mit Wasserentsalzungsanlagen am Mittelmeer den Wassermangel zu beheben und durch computergesteuerte Tröpfchenbewässerung Plantagen in der Wüste anzubauen. Wir sind überrascht, dass Israel die zweithöchste Akademikerquote und die dritthöchste Patentquote der Welt hat und bewundern, dass 23% aller Nobelpreisträger aus diesem kleinen Volk, dass nur 0,2 % der Weltbevölkerung ausmacht, stammen.
Wir erleben ihre Kreativität sowie ihren Sinn für Kunst und Schönheit. Israel hat gemessen an der Anzahl der Einwohner die meisten Museen und Orchester per capita und liegt auf Platz 2, was die Anzahl der verlegten Bücher anbelangt. Wer hier ein Konzert besucht, wird einem sehr hohen künstlerischen Niveau und großer Begeisterung des Publikums begegnen.
Wir streifen durch Städte, Orte, Landschaften und sind beeindruckt: unglaublich was hier in nur 70 Jahren geschaffen wurde. Dort wo sich früher Sümpfe, Sanddünen und wüstes Land befanden, haben Pioniergeist, Innovation und Durchhaltevermögen überall blühendes Leben entstehen lassen. Israel ist das einzige Land, in dem die Wüste rückläufig ist, Millionen Bäume wurden gepflanzt und entlang der Autobahn blüht tropfenbewässerter Oleander. Aus dem armen Agrarstaat ist ein Land mit führender Technologie und einer starken Währung entstanden. Israel gehört heute zu den 10 einflussreichsten Ländern der Welt und liegt auch im Happiness Ranking vorne. (Siehe Grafik unten)
Je mehr Israelis wir persönlich kennen lernen, desto mehr schätzen wir ihre konstruktive Einstellung, ihre Dynamik und ihren Mut – trotz ihres bis heute andauernden Ringens um ihr Recht auf Existenz.
Wir hören von den Kämpfen im 6 Tage Krieg 1967, von der Befreiung der Altstadt Jerusalems und wie die Juden wieder Zugang zu ihrer heute heiligsten Stätte, der Westmauer, erlangten.
Und von dem „Tal der Tränen“, so benannt nach der anfänglich auswegslosen Situation im Jom Kippur Krieg 1973, als die syrische Armee mit über 1.000 Panzern im Norden Israels einbrach und von weniger als 200 Panzern auf israelischer Seite aufgehalten wurde.
Wir sehen den Wiederaufbau nach wiederholter Zerstörung, sei es nun die Hurva Synagoge in Jerusalem oder die Siedlungen in Gush Etzion.
Und wir nehmen wahr, dass selbst die häufigen Terroranschläge in dieser Gegend den Menschen weder die Lebensfreude noch den Lebensmut rauben können, auch wenn sie schmerzliche Verluste zu beklagen haben.
Wir erleben die „Wächter Israels“, die jungen Soldaten und Soldatinnen auf den Straßen, die für Sicherheit sorgen und lauschen den Zeugnissen von sogenannten „einsamen“ Soldaten, die freiwillig ihr Heimatland, Verwandte, Freunde und ein angenehmes Leben verlassen, um in der IDF (Israels Defence Forces) zu dienen. Tatsächlich spielt die IDF auch eine wichtige Rolle bei der Integration und der Schaffung eines gemeinsamen Nenners in der israelischen Gesellschaft.
Denn die Bevölkerungsvielfalt ist erstaunlich. Die Holocaust Überlebenden von überall aus Europa, die ca. 700.000 Juden, die nach Israels Gründung aus den umliegenden arabischen Ländern vertrieben wurden, die Einwanderung aus Afrika und die großen Aliyah-Wellen aus der ehemaligen Sowjetunion haben alle dazu beigetragen. Die Bevölkerungszahl Israels hat sich in den letzten 75 Jahren ver-14-facht (im Vergleich dazu hat sich die Weltbevölkerung in den letzten 50 Jahren „nur“verdoppelt).
Am liebsten hören wir jedoch die Geschichten von jenen, die freiwillig nach Israel kamen, weil sie es als ihre Aufgaben betrachten, dieses Land aufzubauen und sich mit großer Energie dafür einsetzen.
Was uns aber am allermeisten beeindruckt – und tatsächlich auch überrascht hat - ist die intensive, innige und lebendige Beziehung, die viele Juden zu Gott haben. Da uns in den säkularen, kirchlichen und freikirchlichen Kreisen, aus denen wir stammen, die Rolle und Bedeutung von Israel und dem Judentum nicht vermittelt worden war, weder als geistliche Wurzel noch für die Zukunft, waren wir implizit davon ausgegangen, dass so eine Beziehung zu Gott nur bei Christen möglich sei. Jetzt sahen wir mit eigenen Augen wie falsch diese Annahme war.
Heute weiss ich, dank dem erschütterndem Buch „Holocaust“ von Susanna Kokkonen, dass der christliche Glaube bewusst vom Judentum differenziert wurde, seit Kaiser Konstantin der Große die Anerkennung des Christentums als rechtmässige Religion einführte, sich aus politischen Gründen zum Oberhaupt der Kirche ernannte und das erste Konzil im Jahre 325 einberief. Er erklärte, dass die Juden für den Tod Jesu verantwortlich wären, also betrachtete man sie als „Gottesmöder“; verdammt und der Gnade Gottes und der Menschen unwürdig. Eine weitere Lehre dieser Zeit, die „Ersatztheologie“ besagt, dass Israel seine Rolle in Gottes Plänen verspielt hätte und die Christen nun das neue Israel seien. Die Kirchenväter vor und nach diesem ersten Konzil verleugneten den ewigen Bund zwischen Gott und den Juden systematisch, beziehungsweise glaubten, dass Gott diesen Bund aufgehoben hätte.
Der Einfluss dieser Lehren die seit über 1700 Jahren im Umlauf sind, ist erschreckend tiefgreifend. Im Grunde wurde hier schon die Legitimation für Judenhass und Judenverfolgung geschaffen, für Verleugnung und Ignoranz. Hier liegt der idelogische Ursprung von Inquisition, Progromen, Kreuzzügen und Holocaust.
Eine Konsequenz daraus war, das einerseits bei Übersetzungen versucht wurde, die Hinweise auf das Judentum auszulassen und andererseits bei vielen christlichen Themen der jüdische Ursprung nicht erwähnt wurde. Beispiele dafür sind christliche Feste, die alle ihr Äquivalent in den jüdischen biblischen Festen haben (z.B. Passah-Ostern, Schavuot-Pfingsten, Weihnachten-Chanukka) oder auch andere Bräuche: so zum Beispiel ist die jüdische Bar Mitzwa, bei der junge Erwachsene in die Gemeinschaft der Gläubigen aufgenommen werden, das Vorbild für Kommunion/Konfirmation/Jugendweihe - um nur ein paar Beispiele zu nennen.
Das gleiche spiegelt sich auch in der Kunst. Wer z. B. durch die Uffizien von Florenz streift, (eines der berühmtesten Kunstmuseen der Welt mit Werken der Malerie und Bildhauerei von der Antike bis zum Spätbarock), stellt fest, dass es aus dem Alten Testament Bilder von Adam und Eva gibt. Das nächste große Thema ist die Ankündigung von Jesu Geburt. Alles was dazwischen liegt, ist ausgeblendet.
So sind sich viele bis heute des jüdischen Erbes nicht bewusst. Derek Prince, ein Bibellehrer unserer Zeit (und die, die mich schon lange kennen, wissen, dass ich jahrelang für Derek Prince Ministries gearbeitet habe), fasste es einmal so zusammen: Wir stehen tief in der Schuld des jüdischen Volkes.
Ohne dieses hätte die Gemeinde keine Patriarchen, keine Propheten, keine Apostel , keine Bibel und keinen Erlöser. Wenn uns all das fehlen würde, was gäbe es dann noch, was uns das Heil bringen könnte? Alle Nationen der Erde verdanken das Wertvollste an ihrem geistlichen Erbe den Juden.
Aber obwohl wir Derek Prince persönlich begegnet waren und viel von unserem Israel-Bild von seinen Worten geprägt war, mussten wir feststellen, dass auch wir Gefangene des Denkens der Kirchenväter waren. Auch wir hatten gedacht, dass die Juden verloren sein mussten, da man ja nur durch Jesus zum Vater kommen könne und übersahen dabei geflissentlich, dass Paulus in Römer 11 eindeutig sagt, dass Gott sein Volk nicht verstossen hat (Vers 1), dass er seine Gaben nicht zurück fordert und die Zusage seiner Erwählung nicht widerruft (Vers 29).
Und jetzt waren wir in Jerusalem und begegneten dem jüdischen Volk Israel erstmalig in seinem eigenen Land.
Was für uns ganz eindeutig wurde, war, dass die Gründung und das Überleben dieses Staates, seine schnellen Fortschritte und Errungenschaften, der Lebensmut und die Kraft, die man in so vielen Menschen in Israel beobachten kann, rational und menschlich nicht zu erklären sind, sondern auf eine besondere Energiequelle und Kraft zurück führen. Hier in Israel war Gott überall im Alltag erlebbar.
Seit über 2000 Jahren spricht die Bibel von einem lebendigen Gott, der Israel als sein Volk auserwählte und der verhieß, dies Volk nach seiner Zerstreuung wieder in das Land seiner Vorfahren zurück zu bringen und es besonders auszustatten. Dies jedoch auf einmal mit unseren eigenen Sinnen zu sehen, zu beobachten, veränderte uns.
Als wir am Ufer vom See Genezareth sassen, kam mir der Gedanke, dass Juden vorgeworfen wurde, Jesus nicht erkannt zu haben – obwohl doch das, was um ihn herum geschah, offensichtlich und eindeutig war … Und dass heute viele Christen das, was Gott in und mit Israel tut, nicht erkennen – obwohl es ebenso offensichtlich und eindeutig ist.
Wir begannen die Bibel mit anderen Augen zu lesen. Was wir bis dahin überlesen hatten, stach jetzt deutlich hervor.
Wenn man sich vergegenwärtig, dass Jesus in Matthäus 5,17 selber gesagt hat „Ihr sollt nicht meinen, dass ich gekommen bin, das Gesetz oder die Propheten aufzulösen; ich bin nicht gekommen aufzulösen, sondern zu erfüllen“, dann kann man die Bedeutung von Israel und Jerusalem schwer überlesen.
Denn auf dem Berge Zion und zu Jerusalem wird Errettung sein – steht in Joel 3,5
Und Sacharjia weissagt in Kapitel 8, 22: Menschen aus großen und mächtigen Völkern werden nach Jerusalem kommen, um den HERRN, den Allmächtigen, zu suchen und den HERRN gnädig zu stimmen.
Jesaja prophezeit in Kapitel 60, 2-3: Finsternis bedeckt das Erdreich und Dunkel die Völker; aber über dir (Zion) geht auf der HERR, und seine Herrlichkeit erscheint über dir. Und die Völker werden zu deinem Lichte ziehen und die Könige zum Glanz, der über dir aufgeht.
Wir haben in Israel mit eigenen Augen wahrgenommen, wie Gott zu seinem Volk steht. Wir haben anhand von Fakten und Tatsachen gesehen, wie die Aussagen der Bibel Realität werden und wir haben überall im heutigen Israel Gottes in Erfüllung gehende Verheißungen erlebt.
Die Bibel spricht in Sacharja 8,23 davon, dass „in jenen Tagen zehn Menschen aus Völkern mit lauter verschiedenen Sprachen einen Mann aus Juda am Rockzipfel festhalten werden und bitten: Wir wollen mit euch gehen, denn wir haben gehört, dass Gott bei euch ist“ - für uns sind diese Tage bereits angebrochen…die Beziehungen zu unseren jüdischen Freunden und die Verbindung zu Israel sind zu einer der wertvollsten Konstanten, einer Bereicherung und einer Quelle des Lernens in unserem Leben geworden.


„Bruchim haba'im le’Israel - Willkommen in Israel” klang die Stimme des Piloten aus den Lautsprechern und das Flugzeug rollte langsam zur finalen Position. Wir sahen neugierig aus dem Fenster. Was würden wir in diesem Land, über das so viel Widersprüchliches berichtet wird und dass es vor 100 Jahren noch nicht gab, vorfinden? Ich wusste damals nicht, vor welcher lebensverändernden Erfahrung ich stand!
